Ein Skitag im historischen Scuol

Roel am 28 Dezember 2023

Das schöne Dorf Ftan bei Scuol
Das schöne Dorf Ftan bei Scuol

Jeder, der schon einmal in Ischgl war, weiß, dass man mit den Skiern über die Grenze ins schweizerische Samnaun fahren kann. Nach Samnaun gibt es sogar regelmäßig die Schneebeben Tagesfahrten von Deutschland aus. Aber wer fragst sich dann schon, was auf der anderen Seite des Berges liegt? Viele wissen nicht, dass es 10 Kilometer Luftlinie entfernt ein sehr schönes Skigebiet mit einem etwas komplizierten Namen gibt: Scuol Motta Naluns. Willkommen im Reto-Romanischen Unterengadin!

Authentisches Tal Unterengadin

Das Unterengadin ist ein schmales, langgestrecktes Tal in der Schweiz, das direkt hinter dem österreichischen Paznauntal liegt. Eigentlich seltsam, dass es viele nicht kennen, vor allem wenn man bedenkt, dass Ischgl im Mittelalter nur über das Unterengadin erreichbar war. Damals war die Straße durch das Paznauntal zu gefährlich, um sie zu benutzen. Diese Zeiten sind längst vorbei. Während sich Ischgl zu einem der beliebtesten Skigebiete Österreichs entwickelt hat, ist im Unterengadin so ziemlich das Gegenteil passiert. Es ist völlig authentisch geblieben. Das wird deutlich, wenn wir im österreichischen Nauders ins Tal abbiegen. Viele Wälder, wenige Dörfer, eine eigene Sprache (Reto-Romanisch) und kaum touristische Infrastruktur.

Außer in Scuol, hatten wir gelesen. In der Gegend um Scuol entspringen mehr als 20 Mineralquellen, die den Platz Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Kurort machten. Gerade als wir uns fragen, ob wir nicht schon in Scuol hätten sein sollen, kommen wir an einem Schild “Eisweg Engadin” vorbei. Anscheinend gibt es hier eine Eisbahn, also doch etwas Tourismus", bemerken wir. Ein paar Minuten später tauchen die ersten Gebäude von Scuol auf. Wir sind angekommen! Wir fahren eine moderne Dorfstraße hinunter, mit stattlichen Hotels und modernen Geschäften.

Freilichtmuseum

Unsere Adresse in Scuol für die nächsten Tage liegt laut Navigation viel weiter unten im Ort. Als wir uns nach untern bewegen, scheint es, als würden wir in ein Freilichtmuseum fahren. Als würden wir 500 Jahre in der Zeit zurückgehen, kommen wir an engen Gassen, bemalten Häusern und einem echten historischen Zentrum mit einer Dorfpumpe vorbei. Es ist fast schade, dass dort manchmal ein Auto geparkt ist, sonst hätte man fast das Gefühl, sich in einem mittelalterlichen Film aufzuhalten. Das Hotel-Garni Engiadina ist unsere Unterkunftsadresse. Hier betreten wir eines der ältesten historischen Gebäude von Scuol. Ein typisches “Engadinerhaus” mit einer verzierten, verputzten Fassade, niedrigen Gewölben und viel Holz. Und wie kreativ: Der Gang, durch den du früher hineingegangen bist, wurde in einen Buffetbereich für das Frühstück umgewandelt, mit einer rustikalen Stube nebenan. Der Eingang liegt somit an der Seite, die Gäste kommen arrivieren von hinten.

Kontrastierende Dorfteile

Überrascht von den unerwarteten Eindrücken, frage ich mich, ob das Skigebiet auch morgen ebenso traditionell aussehen wird. Werden wir an diesem freien Samstag die charmanten, aber veralteten Lifte und damit vielleicht lange Wartezeiten bekommen? Oder wird die Nostalgie in diesem Gebiet sowieso ganz fehlen, da morgen auch ein FIS Snowboard Weltcup in Scuol stattfindet. Also gehen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf, während wir abends ein paar Fotos von den beiden gegensätzlichen Dorfteilen machen. Der untere Teil heißt Scuol Sot (Unterdorf), während der höhere (neuere) Teil Scuol Sura (Oberdorf) genannt wird. Die Namen sind auf Reto-Rumänisch, der Hauptsprache des Unterengadins. Es wird aber auch Bündnerdeutsch gesprochen, so dass du mit normalem Deutsch auskommen kannst. In der Ferne sehen wir die Thermalbäder des ‘Bogn Engiadina’, die morgen Abend auf dem Programm stehen.

Vom Zug aus direkt ins Skigebiet
Vom Zug aus direkt ins Skigebiet

Das Skigebiet

Am nächsten Morgen laufen wir nach dem Frühstück auf den kleinen Platz, wo der Skibus hält. Der bringt uns zur Talstation von Motta Naluns, dem Skigebiet von Scuol. “Motta” bedeutet hügeliges Gelände und “Naluns” ist ein Flurname auf Rätoromanisch. Wir halten an der Staziun, dem Bahnhof, von Scuol. Dieser liegt direkt neben der Talstation. Nach der Präzision einer Schweizer Uhr hält dort gerade der Zug aus Landquart, in dem auch viele Skifahrer sitzen. Wir eilen zur Gondel, doch das erweist sich als unnötig. Die moderne Talstation sorgt für eine reibungslose Abwicklung und innerhalb von zwei Minuten sind wir in der Gondel zur Mittelstation auf 2146 Metern. Wie in vielen Skigebieten befindet sich hier das örtliche Kinderland mit einigen Übungsliften. Der Vorteil dieses Standorts ist, dass er nach Südosten ausgerichtet ist und die Kinder dort schon am frühen Morgen in der Sonne Ski fahren können.

Holzhüttchen

Wir bewegen uns schnell eine Etage höher, denn hier beginnt erst das eigentliche Skigebiet. Auch hier sind die Lifte nicht veraltet; auch dieser Sessellift ist schnell, modern und mit einer Haube ausgestattet. Nicht, dass man heute eine Haube bräuchte; es ist strahlend blau und die ersten Schweizer lassen sich auf der Terrasse des Bergrestaurants Chamanna Naluns nieder. Das Gleiche passiert bei einer kleinen, abgelegenen Hütte gegenüber. Wir beschließen, an ihr vorbeizufahren. Die Hütte heißt “Chamanna Schlivera” und es stellt sich heraus, dass man sie im Winter mieten kann. An der Fichte an der Fassade kannst du erkennen, dass du den Herd in der Küche selbst mit Holz befeuern musst. Die Touristen, die es in dieser Woche benutzen, schauen uns lächelnd an, bevor auch sie ihre Skier anschnallen.

Wir setzen unseren Weg zum Teilgebiet Prui fort. Eine lange, träge Abfahrt bringt uns zu einem Ort, an dem die Stimme eines Sportreporters aus den Lautsprechern dröhnt. Der FIS Snowboard World Cup hat gerade begonnen, und wir erkennen einige Sportler, die man normalerweise nur im Fernsehen zu sehen bekommt. Toll! Wir starten anschließend unsere erste Abfahrt. Unser Ziel ist das Dorf Ftan (1684 m), das über eine verspielte blaue Piste erreicht werden kann. Das typische Engadiner Bergdorf ist von oben aus gesehen ein echtes Postkartenmotiv. Es thront auf einem Hügel mit in dessen Mitte eine hübsche Kirche.

Schlepplift

Um zurück ins Skigebiet zu gelangen, nehmen wir zwei schnelle Sessellifte, die uns auf den mehr als 2.500m hohen Clünas bringen. Hier beginnt der anspruchsvollere Teil des Skigebiets mit einigen herrlichen, roten Pisten, die zu einer Art Schüssel führen. Leider ist der 2710m hohe Salaniva-Lift heute geschlossen, was uns daran hindert, die Abfahrt ins Dorf Sent zu nehmen. Sie trägt den vielversprechenden Namen Traumpiste, aber die verpassen wir leider. Zum Glück ist der Champatsch offen. Dieser Berg in der nördlichsten Ecke des Skigebiets ist der Teil, auf dem wir am längsten verweilen. Ein nettes Detail ist, dass die beiden parallelen Schlepplifte (insgesamt gibt es drei Schlepplifte in Motta Naluns) für zwei Arten von Skifahrern vorgesehen sind. Weniger erfahrene Skifahrer und Boarder werden durch Schilder aufgefordert, den linken Lift zu nehmen, während die erfahreneren Skifahrer mit dem rechten Lift einsteigen können. Und in der Tat gibt es auf der rechten Piste ein paar mehr Unebenheiten. Diese Teilung wirkt sich auch auf die Pisten und Off-Piste-Routen am Gipfel aus. Du kannst entweder die einfache blaue 28 ganz außen herum nehmen oder eine der vielen schwierigeren Varianten mit zahlreichen Verbindungen. Der 2783m hohe Champatsch ist der höchste Punkt von Motta Naluns und liegt nur 4 Kilometer von Österreich entfernt, am Silvretta-Massiv. Eine schöne Aussicht ist garantiert.

Einsteiger steigen links ein
Einsteiger steigen links ein

Champatsch
Champatsch

Dessert gegen Muskelkater

Ruhig traversieren wir zurück zur Schüssel zu unserem Platz für das Mitteagessen, dem Bergrestaurant Alpetta. Ein guter Teller Spaghetti füllt die Energiereserven wieder auf, danach sehen wir uns die Pisten an, die wir ausgelassen hatten. Sie liegen fast alle oberhalb der Baumgrenze und in der Sonne, aber was besonders Anfänger und Familien freuen wird, ist, dass man fast alles mit blauen Pisten erreichen kann. Die einzigen Ausnahmen sind die Traumpiste nach Sent und die Talabfahrt nach Scuol selbst, die rot sind.

Zurück an der Talstation angekommen, nehmen wir den Skibus zurück nach Scuol, wo das Dessert des Tages auf uns wartet: der Thermalbad- und Saunakomplex “Bogn Engiadina”. Dieser Wellness-Komplex ist ein Muss, wenn du Scuol einmal besuchst. Vor allem, wenn du einen harten Tag auf der Piste hinter dir hast. Das letzte bisschen Übersäuerung in unseren Beinen verschwindet wie Schnee in der Sonne; entsdpannt vom warmen Quellwasser machen wir uns im Anschluß auf den Weg zurück zum Hotelzimmer.

Schloss Tarasp, vom Skigebiet aus gesehen
Schloss Tarasp, vom Skigebiet aus gesehen

Die Thermalbäder von Bogn Engiadina
Die Thermalbäder von Bogn Engiadina

Skating Achterbahn

Das Baden am Vorabend war ohnehin kein überflüssiger Luxus, wie wir feststellen, als wir uns am nächsten Tag zum Frühstück setzen. Der Besitzer des Hotel-Garni Engiadina drängt uns, unbedingt die Schlittschuhbahn zu besuchen. Wir hatten sie schon auf dem Hinweg gesehen, aber uns war nicht klar, dass sie das heimliche Highlight unserer Reise sein würde. Am Innufer melden wir uns an der Kasse des “Eisweg Engadin”. Wir ziehen unsere Schlittschuhe in einer Art Planwagen an und beginnen dann eine 3 Kilometer lange Skating-Tour. Es ist nicht irgendeine Strecke, sondern eine durch den Wald und mit Anstiegen und Abfahrten! Eine bizarre Erfahrung, auf Skates auf- und absteigen zu müssen, aber wir kommen erstaunlich gut zurecht. Indem man in kalten Nächten Wasser gegen die abschüssigen Wege sprüht, gefrieren die Tropfen an der Oberfläche und man kann die Strecke präparieren, versichert uns der Betreiber. Das war das Sahnehäubchen auf der überraschenden Wintersporttorte, die uns das Unterengadin in den letzten Tagen beschert hat.

Embed not found

Roel
Roel ist schon seit 2009 unser beliebter Wettermann für das Skiwetter. Fast täglich schreibt er über Sonne, Schnee und Hintergründe rund um das Thema Skiurlaub.
Schneealarm

Erhalte im Vorfeld deines Skiurlaubs einen kostenlosen Schneealarm per E-Mail deines Reiseziels! Die Benachrichtigungen werden nach deinem Urlaub automatisch gestoppt.