Reportage: Der Traum von Andermatt

SarahS am 18 Oktober 2023

Andermatt: Heutzutage ein hypermodernes Skigebiet.
Andermatt: Heutzutage ein hypermodernes Skigebiet.

Wer bei Andermatt immer noch an ein verschlafenes Bergdorf mit einem veralteten Skigebiet denkt, ist schon lange nicht mehr über den Gotthardpass gefahren. In den letzten fünfzehn Jahren hat das Dorf eine gigantische Metamorphose durchgemacht und ist mit der SkiArena Andermatt - Sedrun zu einem der modernsten Skigebiete der Schweiz geworden! Höchste Zeit für eine Entdeckungstour.

Dem Untergang geweiht

Andermatt liegt in der Gotthardregion in der Mitte der Schweiz. Ein leicht zug erreichender Ort am Schnittpunkt dreier Bergpässe: Gotthard-, Furka- und Oberalppass. Es ist auch ein Ort, an dem verschiedene Kulturen aufeinandertreffen und an dem nicht weniger als vier Flüsse entspringen: der Rhein, die Reuss, die Rhône und der Ticino. Ein besonderer Ort also, mit einem Skigebiet, das aufgrund seiner Höhenlage - 1.444 bis 2.961 Meter – als besonders schneesicher gilt. Alle Voraussetzungen für eine florierende Tourismusindustrie sind gegeben, und doch war Andermatt vor fünfzehn Jahren dem Untergang geweiht und kurz davor, von der Bildfläche zu verschwinden.
Dies hatte mit den Kürzungen bei der Schweizer Armee zu tun. Andermatt hatte ein Zeughaus in der Nähe des Dorfes, in dem 200 der 1.200 Einwohner arbeiteten. Aufgrund der abnehmenden internationalen Bedrohung beschloss die Regierung 2004, den Komplex zu schließen. Somit fiel plötzlich der wichtigste Arbeitgeber des Tals weg, und die wirtschaftlichen Folgen waren katastrophal. Der Tourismus, der bis dahin nur als Nebenerwerb angesehen wurde, konnte die Einkommensverluste in keiner Weise ausgleichen. Außerdem wurde der Ort wegen seines begrenzten Skigebiets und seiner veralteten Lifte von den Wintersportlern zunehmend ignoriert (mit Ausnahme der Freerider, siehe Kasten Freerideberg).

Ägyptischer Groß-Investor

Eine neue Zeitrechnung beginnt für Andermatt, als der ägyptische Milliardär Samih Sawiris auf der Bildfläche erschien. Sawiris wird der große Kopf hinter dem inzwischen hypermodernen Skigebiet. Nach der Schließung des Zeughauses suchte die Schweizer Regierung nach neuen Entwicklungsmöglichkeiten, und 2005 wurde Sawiris gebeten, ein Tourismuskonzept zu entwerfen. Er beschloss, die Umsetzung selbst in die Hand zu nehmen und legte einen Plan für ein luxuriöses Ferienresort auf dem Gelände des ehemaligen Arsenals vor. Nach anfänglicher Skepsis sprachen sich die Einwohner in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit (96 Prozent!) für den Plan aus. Sawiris kaufte das Land und gründete den Ferienort Andermatt in den Schweizer Alpen. Seit dem ersten Spatenstich im Jahr 2009, stampfte man mehrere Luxushotels und Apartmentkomplexe, ein Konzert- und Kongresszentrum, einen 18-Loch-Golfplatz und mehrere schicke Restaurants und Boutiquen in verhältnismäßig kurzer Zeit aus dem Boden. Das Flaggschiff des Megaprojekts ist zweifellos The Chedi, ein Fünf-Sterne-Hotel mit 123 exklusiven Zimmern und Suiten.

Das größte Skigebiet auf der Karte

Das war noch nicht alles. Sawiris hat auch das Skigebiet aufgekauft und das fast Unmögliche geschafft. Innerhalb weniger Jahre wurde das in die Jahre gekommene Skigebiet komplett umgebaut. Seit 2015 wurden 14 neue Lifte, eine Anbindung an das Skigebiet Sedrun, moderne Beschneiungsanlagen und neue Bergrestaurants gebaut. Allein 2018 wurden 150 Millionen Schweizer Franken in das Skigebiet gepumpt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die SkiArena Andermatt - Sedrun ist mit über hundert Pistenkilometern das größte zusammenhängende Gebiet der Zentralschweiz und eines der modernsten, wenn nicht das modernste der ganzen Schweiz.

Das neue Skigebiet von Andermatt.
Das neue Skigebiet von Andermatt.

Perfekter Einstiegsberg

Wir steigen bei der Talstation des Gütsch Express, einer der neuen Gondelbahnen von Andermatt, ein. Was uns auffällt, ist die perfekte Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Das nagelneue Bahnhofsgebäude befindet sich direkt neben dem Lift. Der Zug kommt aus drei Richtungen und man gelangt durch einen kleinen Tunnel zum Skilift. Der Gütsch-Express ist der Hauptzugang zum Skigebiet, der bis nach Sedrun führt. In zwei Etappen erreichen wir den Gütsch (2.344 m), wo sich einige malerische Pisten auftun. Es ist klar, dass dies ein echter Familienberg ist, der für jeden etwas bietet. Die Pisten sind breit und gerade und an der Mittelstation Nätschen befindet sich ein großer Kinderbereich mit einem Kinderrestaurant. Der Rückweg führt über eine sehr flache, kurvenreiche Piste zurück nach Andermatt. Bei der Abfahrt bemerken wir eine Leitplanke neben der Piste. Der Groschen fällt: Wir fahren auf der Oberalpstraße, einer Verkehrsstraße zum gleichnamigen Pass, die im Winter als blaue Piste genutzt wird. Das bedeutet, dass die andere Seite des Skigebiets, Sedrun, im Winter nicht mit dem Auto erreicht werden kann. Berücksichtige dies also bei der Planung deiner Route, nicht dass du bei der Anreise überrascht vor dem geschlossenen Bergpass stehst! Wir fahren mit dem Gütsch Express zurück auf den Berg und sehen, dass der Berg nun komplett in der Sonne liegt. Alle Sonnenanbeter kommen hier für den Rest des Tages voll auf ihre Kosten.

Skifahren am Oberalppass

Wir fahren weiter in Richtung Sedrun. Mehr und mehr kommen wir ins Hochgebirge. Mächtige Gletscher tauchen am Horizont auf, und im Skigebiet ist kein einziger Baum zu sehen. In der Ferne ist ein zugefrorener See mit einigen Häusern drumherum zu sehen. Der Abstieg zu den Hütten erfolgt über den Schneehüenerstock-Flyer, eine moderne Sesselbahn, die auf den gleichnamigen Berg führt. Es ist der Oberalppass, der Gebirgspass (2’044 m), der den Kanton Uri mit Graubünden verbindet. Einst ein Ort, an dem sich zwei Kulturen begegneten, heute der Ort einer Skiverbindung. Von hier aus gelangst du in das Skigebiet von Sedrun.
Oben auf der Passhöhe befindet sich eine weitere Besonderheit: ein echter Leuchtturm. Wir haben uns - genauso wie du jetzt vermutlich - gefragt, was es mit einem Leuchtturm auf dem Berg auf sich hat. Am Informationsschalter erhalten wir Auskunft: Der Leuchtturm Rheinquelle ist eine Nachbildung des alten Leuchtturms des niederländischen Orts Hoek van Holland (Niederländisch: Lage licht van Hoek van Holland)! Wir stehen hier, etwa eine Stunde Fußweg von der Stelle entfernt, an der der Rhein offiziell entspringt. Der Turm wurde von der Gemeinde Tujetsch/Sedrun aufgestellt, um die Verbindung zwischen dem Ursprung und der Rheinmündung (bei Hoek van Holland) zu markieren. Natürlich wäre es im Gegenzug zu schön gewesen, wenn Hoek van Holland seinerseits einen Skiberg am Strand gebaut hätte. Aber gut, man kann nicht alles haben.
Wir nehmen den Oberalp-Flyer und fahren weiter in Richtung Sedrun. Wir fahren durch verlassene Täler mit Liften, die noch nahtlos an die Lifte und Pisten von Andermatt angeschlossen sind. Es ist jedoch festzustellen, dass der Einfluss von Samih Sawiris immer mehr abnimmt. Die Liftinfrastruktur in diesem östlichen Teil des Gebiets ist deutlich älter, aber die Pisten stehen dem in nichts nach. Langsam aber sicher kommen wir in niedriger gelegenes Terrain und in der Ferne taucht das Dorf Sedrun auf. Jetzt wird uns richtig bewusst, wie lang dieses Skigebiet eigentlich ist und wie viele Kilometer man an einem solchen Tag tatsächlich zurücklegt. Es erinnert an das österreichische Skigebiet Hochkönig, allerdings in größerem Stil und oberhalb der Baumgrenze.
Wer so viel fährt, merkt das schnell am aufkommenden Hunger. Zum Glück gibt es im Skigebiet mehrere Bergrestaurants. Auf dem Abstieg vom Cuolmtal nach Sedrun machen wir im Weiler Milez Halt. Hier finden Sie eine Handvoll rustikaler, hölzerner Berghütten: das Bild, für das die Schweiz so berühmt ist. Übrigens findet man im Zentrum von Andermatt ebenso alte traditionelle Häuser, die im krassen Gegensatz zum modernen Außenring stehen. Das Mittagessen halten wir jedoch kurz, denn wer, wie wir, viel sehen will hat noch einige Kilometer vor sich. Der Skipass ist auch in Disentis gültig, einem anderen Dorf weiter außerhalb. Seit 2019 verbindet die moderne Pendelbahn Cuolm da Vi das Dorf Sedrun mit dem Skigebiet Disentis 3000 und erweitert es um weitere 60 Pistenkilometer.

Zug als Alternative zum Skilift

Um das Skigebiet Disentis zu erreichen, musst du eine kurze Strecke mit dem Zug zurücklegen. Diese ist im Skipass inbegriffen und der Bahnhof befindet sich direkt neben der Talstation. Diese Bahn, die Matterhorn Gotthard Bahn, ist eine geniale Alternative zu den großen Skiliften. Die Bahn folgt dem Skigebiet und du kannst jede Talstation zwischen Andermatt und Sedrun damit erreicht. Wenn deine Unterkunft beispielsweise in Andermatt liegt, du aber die steilen Hänge oberhalb des Oberalppasses vermeiden willst, kannst du einfach in Dieni (bei Sedrun) aussteigen. Auch der bereits erwähnte Kinderbereich am Mittelbahnhof Nätschen hat einen eigenen Bahnhof. Die Abfahrts- und Ankunftszeiten können an den Pisten abgelesen werden.
Als wir um 16 Uhr in Disentis ankommen, stellen wir fest, dass die Zugverbindung noch einen weiteren Vorteil mit sich bringt: Du musst nicht auf die Schließzeiten der Lifte achten. Du kannst dir Zeit nehmen, um alle Ecken und Winkel der Gegend erkunden und am Ende kannst du mit dem Zug zurückfahren. Wir setzen uns in den Après-Ski-Wagen der Matterhorn Gotthard Bahn. Eine Gruppe von Amerikanern, die nach der Hälfte der Zeit einsteigt, macht dankbar davon Gebrauch; und so ging der Spaß noch eine halbe Stunde weiter.
Auf den letzten Kilometern der kurvenreichen Strecke werden wir mit der beleuchteten Skyline von Andermatt belohnt. Jede einzelne Kurve. Wow. Von dieser Höhe aus kann man den Kontrast zwischen dem ursprünglichen kleinen Zentrum und dem projektbezogenen Andermatt Swiss Alps deutlich erkennen. In den kommenden Jahren werden die beiden “Andermatt’s” immer näher zusammenwachsen und schließlich fusionieren, so wie es bereits mit den Skigebiete Andermatt und Sedrun passierte. Unser Fazit zur außergewöhnlichen Geschichte von Andermatt: Es gibt wenige Orte, in denen ein völlig Außenstehender als Investor so viel bedeutet und erreicht hat wie hier.

Freerideberg: Im rechten Winkel zur Hangkette Andermatt-Sedrun liegt ein weiteres Teilgebiet: der 2’961 Meter hohe Gemsstock. Dieser freistehende Berg hat nur eine Handvoll Lifte und 31 Pistenkilometer, aber eine Vielzahl von Varianten abseits der Pisten.

Neue Wege für Andermatt mit Teilverkauf an Vail-Resorts

Ungewissheit über die Zukunft des Skigebiets herrscht nun, da das amerikanische Unternehmen Vail Resorts die Mehrheit der Aktien des Schweizer Skigebiets SkiArena Andermatt - Sedrun gekauft hat. Mit der Übernahme will das Unternehmen in den nächsten Jahren 149 Millionen Franken in das Gebiet investieren. Der bisherige Investor Samih Sawiris hat nun 55% der Anteile an die amerikanische Vail Resorts, den größten Skigebietsbesitzer Nordamerikas, verkauft. Das Unternehmen hält Beteiligungen an 40 Skigebieten in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien. Vail, Beaver Creek und Park City gehören dem Unternehmen selbst. Mit der Übernahme werden die Pisten, Skilifte, die meisten Bergrestaurants und die Skischule in amerikanische Hände übergehen. Die Übernahme ist in gewisser Weise bemerkenswert. Nicht nur, weil Sawiris immer noch mit seinem Andermatt-Projekt beschäftigt ist, sondern auch, weil die Meinungen in Nordamerika über Vail Resorts nicht nur positiv sind. Es gibt viel Kritik am Geschäftsgebaren und am Kundenservice des börsennotierten Unternehmens.

Andermatt macht Ausnahmen für Ausländische Investoren

Das Projekt Andermatt Swiss Alps konnte durch die Ausnahmeregelung der so genannten Lex Koller realisiert werden. Dieses Gesetz regelt, dass Ausländer in der Schweiz nicht einfach so Land kaufen dürfen. Besagte Ausnahmeregelung erlaubt es internationalen Käufern jedoch, in Andermatt uneingeschränkt Wohneigentum zu erwerben und zu entwickeln. Auch das Gesetz, wonach nur 20 Prozent der Häuser als “Zweitwohnsitz” genutzt werden dürfen, gilt in Andermatt nicht.

SarahS
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