Montgenèvre - von Hannibal und Caesar zum hypermodernen Skidorf

SarahS am 25 Januar 2022

Während des ersten internationalen Skiwettstreits 1907.
Während des ersten internationalen Skiwettstreits 1907.

Viele sind der Meinung, dass französische Skigebiete nicht authentisch sind. Darin liegt ein Körnchen Wahrheit, denn natürlich gibt es in Frankreich eine ganze Reihe von am Reißbrett geplanten Skigebieten, viele davon auch noch im bekannten, nicht besonders idyllischen Beton-Stil. Es gibt aber auch ein Skigebiet, in dem schon Hannibal, Julius Cäsar und Napoleon Bonaparte vorbeikamen. Dieses Gebiet ist das älteste französische Skigebiet und eines der ältesten Skigebiete der Welt. Tauche mit uns in die abwechslungsreiche Geschichte des französischen Grenzdorfes Montgenèvre ein.

Hannibal auf dem Vormarsch in Montgenèvre

Über Hannibals Alpenüberquerung gibt es nach wie vor Unklarheiten. Obwohl Tausende von Büchern über den Marsch des karthagischen Feldherrn über die Alpen geschrieben wurden (von Fachleuten und Phantasten), gibt es kaum Beweise dafür, wie genau Hannibal dieses Gebirge durchquert hat. Eine Durchquerung des Flussgebiets von Val Durance ist zwar ausgeschlossen, eine Überquerung des Col de Montgenèvre jedoch nicht. Es ist sogar durchaus denkbar, dass er diesen Bergpass gewählt hat. Neben antiker militärischer Ausrüstung wurde in der Nähe von Sestrière auch ein Elefantenstoßzahn gefunden. Diese Funde wurden allerdings während des Zweiten Weltkriegs gemacht und so wurde nicht sehr viel Wert darauf gelegt solch ein Beweisstück gut zu erhalten. Hannibals Alpenüberquerung war eine außergewöhnliche taktische Entscheidung, denn sie kostete wahrscheinlich zwischen 3.000 und 20.000 Männern das Leben. Nach der Alpenüberquerung waren seine Männer durch Kälte, Krankheiten und Hunger geschwächt. Auf der anderen Seite in der Poebene angekommen, stießen sie gewissermaßen direkt auf den erbitterten Widerstand ihrer Feinde.

Hannibal blickt von den Alpen aus nach Italien. Ein Gemälde von Francisco de Goya 1777. War das Montgenèvre?
Hannibal blickt von den Alpen aus nach Italien. Ein Gemälde von Francisco de Goya 1777. War das Montgenèvre?

Zur Zeit des Römischen Reiches: Via Domitia

Zur Zeit des Römischen Reiches war der Mont Genèvre einer der Alpenübergänge der Via Domitia, der römischen Straße, die vom heutigen Italien nach Spanien führte. Diese Straße wurde um 118 v. Chr. eröffnet. Die Römer kamen über den Col de Montgenèvre ins heutige Frankreich. Damit ist sie die älteste Römerstraße Frankreichs. Vor allem unter dem Col de Montgenèvre, im Val Durance, gibt es noch viele Spuren dieser alten Straße. Ganze Abschnitte haben dem Zahn der Zeit getrotzt. Die Straße ermöglichte es den Römern, militärische Truppen in die neuen römischen Städte zu schicken. Im Jahr 58 v. Chr. kam kein Geringerer als Julius Cäsar über den Col de Montgenèvre, um Gaulle einen Besuch abzustatten.

Niedergebrannt durch den Duc de Savoie

Im Jahr 1155 wurde Montgenèvre in die Dauphine eingegliedert, eine Grafschaft im Südosten Frankreichs. Abgesehen von einigen politischen und administrativen Veränderungen geschah nicht viel, bis 1706, als die Armeeeinheiten des Duc de Savoie das gesamte Dorf niederbrannten. Im Jahr 1799 kam außerdem der verstoßene Papst Pius VI. über den Bergpass. Einer seiner Priester schrieb das Folgende über das Dorf:

"Auf dem höchsten Punkt des Mont Genèvre (sic) sahen wir an einem steilen Hang ein trostloses Dorf, tief unter dem Schnee verborgen. Die Einwohner steckten ihre Köpfe heraus, um unseren Konvoi zu beobachten. Die spitzen Dächer erweckten den Eindruck schneebedeckter Pyramiden. Wir sahen eine Kirche, die von der revolutionären Gottlosigkeit zerstört wurde, sogar das Kreuz brachten sie zu Fall.

Um die Liste der hochrangigen Persönlichkeiten zu vervollständigen: Auch Napoleon Bonaparte kam im Jahr 1804 zur Einweihung eines steinernen Obelisken vorbei.

Besonderes geologisches Phänomen
Im Winter ist Montgenèvre natürlich ein beliebter Skiort, aber auch im Sommer kommen Busladungen von Touristen in dieses Grenzdorf. Einige kommen zum Golfen, andere zum Mountainbiken (sehr zu empfehlen), unter den Gästen sind aber auch jede Menge Geologie Studenten. Sie kommen, um die besonderen Felsen dieser Gegend zu erkunden. Denn oberhalb der Quelle der Durance, befinden sich mehrere besondere Berggipfel. Vor allem Der Mont Chenaillet beschäftigt die Geologen seit Jahren, denn dieser Berg besteht aus sogenanntem Pillow-Lava. Einst war das also ein Unterwasservulkan. Der Mont Chenaillet ist ein Andenken an einen Ozean von vor 155 Millionen Jahren, der bei der Entstehung der Alpen verdrängt wurde.

Festungen und Bunker entlang des Passes

Montgenèvre liegt an der Grenze zwischen wichtigen Wassereinzugsgebieten. Ein strategisch wichtiger Ort. Auf französischer Seite wurden die ersten Festungen bereits zwischen 1692 und 1700 gebaut, um den Duc de Savoie fernzuhalten. Von da an wurden immer mehr Festungen in Richtung Bergpass gebaut. Sowohl von den Dauphinois, als auch später von Italien und Frankreich.

Montgenèvre Anfang 1800
Montgenèvre Anfang 1800

Uneinnehmbare Festung leicht eingenommen

Die eindrucksvollste Festung mit der intensivsten Geschichte ist die Festung von Chaberton. Dieser markante Gipfel oberhalb des Skigebiets war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in italienischem Besitz. Zwischen 1900 und 1914 bauten die Italiener hier eine “uneinnehmbare” Festung, die nach ihrer Fertigstellung die höchste Festung Europas war. Die Kanonen waren stolz auf Frankreich gerichtet. Um diese Kanonen aufstellen zu können, wurde der gesamte Gipfel des Berges weggesprengt, um ein flaches Terrain zu schaffen. Das kann man schon von weitem sehen. Im Jahr 1940 erklärte Mussolini Frankreich den Krieg und nur Zehn Tage nach der Kriegserklärung zerstörte Frankreich erfolgreich die „uneinnehmbare“ Festung, die Kanonen und 320 italienische Soldaten mit “nur” 57 Mörser-Geschützen. Bemerkenswert ist, dass die Festung viel höher lag als die französischen Bunker. Heutzutage ist der Gipfel aber zum Glück wieder komplett waffenfrei und im Sommer ein durchaus lohnenswertes Wanderziel.

Stacheldraht im Off-Piste-Terrain

Überall in der Gegend kann man die Überbleibsel der Festungen und Bunker sehen. Besonders in der Nähe des Berges Janus gibt es viele und große Bunker. Auch als Skifahrer abseits der Pisten muss man in schneereichen Wintern vorsichtig sein, denn an einigen Couloir-Eingängen findet man noch Stacheldraht aus dem Zweiten Weltkrieg. Rund um den Bergpass wurde heftig gekämpft, und an verschiedenen Stellen sind auch immer noch die Einschläge der Mörser zu sehen.

Eine alte Postkarte von Montgenèvre.
Eine alte Postkarte von Montgenèvre.

Das erste Wintersportgebiet in Europa?

Im Jahr 1895 begann man in diesem Dorf mit dem Wintersport. Zwei norwegische Armeeoffiziere demonstrierten hier für die französische Armee ihre Skikenntnisse. Im Jahr 1903 wurde im Nachbarort Briançon die erste französische Skischule gegründet. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs wurden hier nicht weniger als 5000 französische Soldaten ausgebildet. Sie bildeten auch interessierte Einheimische kostenlos aus und verschenkten sogar Skier. Alles, um die Einheimischen zum Skifahren zu bewegen. Im Prinzip waren es die reichen " Bourgeoisie", die zuerst auf die Skier stieg. Das war dem französischen Alpenverein ein Dorn im Auge, man bedauerte es, dass die einfachen Leute nicht viel Ski fuhren.

Erster internationaler Skiwettstreit

Um dies zu ändern, beschloss man das erste internationale Skirennen der Welt zu veranstalten. Dieses Rennen wäre ganz in der Nähe des Col de Lautaret gewesen. Da Montgenèvre aber bereits über ein gutes Hotelangebot verfügte, hielt man das Rennen letztendlich dort ab. Mit einem Arc de Triomphe aus Schnee, Skifahrern, die mit 60 km/h den Berg hinunter sausen, Skispringern, die die 26-Meter-Marke knacken, und Langläufer, die über den Schnee rennen.

Gedränge während des ersten internationalen Skiwettstreits 1907.
Gedränge während des ersten internationalen Skiwettstreits 1907.

Erstes offizielles französisches Skigebiet

Das Interesse der örtlichen Bevölkerung war geweckt. Mehr als 3.000 Zuschauer kamen, um das Spektakel anzusehen. Auch die Presse, die man großzügig einlud, berichtete sehr positiv über dieses Ereignis. Übrigens: die Norweger hatten damals dank ihres Erfahrungsvorsprungs jedes Podium vor den Franzosen, Österreichern, Schweizern und Italienern belegt. Bei diesem Ereignis wurde Montgenèvre zum ersten offiziellen Skigebiet Frankreichs (und nach Angaben des Gebiets sogar Europas) erklärt. Zu dieser Zeit allerdings noch ganz ohne Skilift.

Erster Skilift

Während des Ersten Weltkriegs kam die Entwicklung des Skigebiets logischerweise zum Stillstand. Auch kurz danach versorgte Frankreich gerade seine Wunden; in den Bergdörfern waren fast alle Männer in den Schützengräben gestorben. Im Jahr 1936 kamen die Dinge schließlich wieder in Bewegung. Der erste Skilift des Gebiets wurde installiert (Prarial). Das half dem alpinen Skisport wieder auf die Beine. In den dreißiger und vierziger Jahren wurde Montgenèvre zu einem Ort, an den der Pariser Jetset zum Skiurlaub kam. Berühmte Filmstars flanierten durch die Straßen des Skidorfs.

Montgenèvre heute.
Montgenèvre heute.

Montgenèvre heute

Montgenèvre verlor nach dem Zweiten Weltkrieg den Wettkampf mit den anderen französischen Gebieten in Haute-Savoie und demTarentaise-Tals. Die stark befahrene Bergstraße (mit vielen Lastwagen), die veralteten Lifte und das kleine Dorf waren dabei sicher nicht vorteilhaft. Das ist schade, denn die Pisten, das schöne Off-Piste-Terrain und die Verbindung mit den angrenzenden italienischen Gebieten machen Montgenèvre zu einem großartigen Reiseziel. In den letzten Jahren wurde ein bisschen daran gearbeitet, das Skigebiet wieder attraktiver zu machen. Die Passstraße führt nun durch einen Tunnel unter dem Dorf hindurch, es wurden neue Lifte gebaut und luxuriöse, geräumige Unterkünfte bieten einen angenehmen Kontrast zu den kleinen Ferienwohnungen, die viele Menschen in Frankreich erwarten. Kurzum, dieses Grenzgebiet mit einer sehr langen Geschichte hat wahrscheinlich eine glänzende Zukunft vor sich.

SarahS
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