Die turbulente Geschichte des Kaunertaler Gletschers (Teil 1)

SarahS am 21 November 2021

Feichten im Jahre 1968 (kirchenwirt.com)
Feichten im Jahre 1968 (kirchenwirt.com)

Wenn man an ein Tiroler Gletscherskigebiet denkt, fällt den meisten nicht sofort der Kaunertaler Gletscher ein. Dieses junge Skigebiet ist das unbekannteste der 5 Tiroler Gletschergebiete. Deshalb ist seine Geschichte aber nicht weniger interessant! Ganz im Gegenteil, denn das Gletscherskigebiet hat seit seiner Eröffnung zu Beginn der 80er Jahre mit Problemen zu kämpfen. Motivierte Betriebsleiter und die eng zusammenhaltende Gemeinschaft versuchen, eine Lösung für all diese Probleme zu finden. Im ersten Teil dieses dreiteiligen Blogs nehmen wir dich mit auf eine historische Tour durch das Skigebiet. Im zweiten Teil geht es vor allem um die Probleme, mit denen das Gletscherskigebiet immer wieder zu kämpfen hatte. Stockende oder gar gescheiterte Skiliftprojekte sorgten immer wieder für Unmut. Im letzten Teil erfährst du mehr über die jüngsten Entwicklungen bezüglich der neuen Falginjochbahn.

![](https://cdn.wintersport.nl/media/content/2021/09/29/Feichten_im_Kausnerthal_1898.jpg ““Feuchten im Kausnerthal” im Jahre 1898”)

Die Anfänge des Tourismus im Kaunertal

Das Kaunertal liegt nicht weit vom großen Serfaus - Fiss – Ladis entfernt, aber gehört zu den Ötztaler Alpen. Hier gibt es mehrere Gletscher und viele interessante Wandermöglichkeiten. Dies machte das Tal bereits im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Ausflugsziel für Alpinisten. Doch der Tourismus kam erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg so richtig in Schwung. Die Bewohner des Tals nutzten die Gelegenheit und begannen, sich mehr und mehr auf den Tourismus zu konzentrieren. In Feichten im Kaunertal, dem größten Dorf des Tals auf 1287 Metern Höhe, wurden mehrere Hotels und andere Unterkünfte errichtet. Ursprünglich beschränkte sich der Tourismus aber vor allem auf die Sommermonate. Es waren hauptsächlich Alpinisten in den Unterkünften anzutreffen, die es im Sommer in das Hochgebirge zog.
In den 1960er Jahren wurden dann die ersten Pläne für ein Skigebiet im Kaunertal auf den Tisch gebracht. Die Eröffnung des Erspenlifts (der heutige Dorflift) in Feichten im Jahr 1961 und eines Skilifts in Nufels (Ein Dorf weiter unten im Tal) im Jahr 1963 erwies sich als äußerst erfolgreich, und der Wunsch nach mehr Skimöglichkeiten wurde laut. Während ein Vorschlag für ein Skigebiet rund um die Verpeilhütte und das Madatschjoch bereits im Anlauf scheiterte, wurde die Anziehungskraft der Gletscher weiter hinten im Tal stets größer.

Skilift Nufels in 1963 (kirchenwirt.com)
Skilift Nufels in 1963 (kirchenwirt.com)

Der Mandarfenboden, welcher gegenwärtig durch den Bau der Gepatsch-Staumauer komplett unter Wasser steht
Der Mandarfenboden, welcher gegenwärtig durch den Bau der Gepatsch-Staumauer komplett unter Wasser steht

Ein Stausee zur Stromerzeugung

Mit dem Bau des Gepatsch-Staudamms im Jahr 1961 wurde schließlich auch der hintere Teil des Tals erschlossen, wodurch ein sehr gletscherreiches Gebiet auf einmal viel besser zugänglich war. Im November 1964 waren alle Arbeiten an der Staumauer abgeschlossen und sie war bereit für die Stromerzeugung. Damals war der 600 Meter lange und 153 Meter hohe Damm an zehnter Stelle der höchsten Staumauern der Welt.

Die Gepatsch-Staumauer ind 1965 (kirchenwirt.com)
Die Gepatsch-Staumauer ind 1965 (kirchenwirt.com)

Der Staudamm beschleunigte die Pläne zur Erschließung des Weißsee-Gletschers enorm. Die Planung des Skigebiets hat jedoch viele Jahre gedauert, aber am 4. Juni 1979, 15 Jahre nach der Fertigstellung des Staudamms, wurde endlich mit dem Ausbau der Straße vom Stausee bis zu ihrem heutigen Endpunkt auf 2.750 Metern Höhe begonnen. Am 8. August 1980, nur 14 Monate später, erreichte das erste Auto mit Skifahrern das Gletscherrestaurant. In diesen 14 Monaten wurden die Kaunertaler Gletscherstraße, die Skilifte und das Gletscherrestaurant gebaut. Eine außergewöhnliche Leistung, vor allem wenn man bedenkt, dass unter den harten Bedingungen eines sehr schneereichen Winters gearbeitet werden musste. Zu dieser Zeit bestand das Skigebiet nur aus einem Weißsee-Schlepplift und dem Karles-Schlepplift. Damit war es das vierte Gletscherskigebiet in Tirol. Von den mit Skiern befahrbaren Gletschern in Tirol wurde allein das Skigebiet am Pitztaler Gletscher später gebaut.

Ein Pistenplan des Skigebiets aus 1990 (skimap.org)
Ein Pistenplan des Skigebiets aus 1990 (skimap.org)

Im Jahr 1981 wurde der Wiesejaggl-Sessellift gebaut und noch im Juni desselben Jahres eröffnet. Zur gleichen Zeit wurde das Skigebiet Fendels übernommen. Im Jahr 1989 wurden die beiden Nörderjoch-Schlepplifte gebaut und im Winter 1993 wurde das Skigebiet durch die Fertigstellung der Ochsenalm-Sessellifte stark aufgewertet. Seitdem sind Abfahrten von über 1.000 Höhenmetern möglich.

Das Sommerskigebiet

Aufgrund der Höhenlage war das Skigebiet zunächst nur im Sommer geöffnet, denn im Winter war die Zufahrtsstraße unpassierbar. Wenn die Wetterbedingungen es zuließen, war das Skigebiet manchmal bis Dezember geöffnet, aber wegen der hohen Lawinengefahr musste die Zufahrtsstraße oft schon früh in der Wintersaison geschlossen werden.
Mitte der 1980er Jahre wurde es möglich, mit Hilfe von Hubschraubern Lawinen gezielt auszulösen und so einen sichereren Zugang zum Skigebiet zu gewährleisten. So ist es seit dem Winter 1987-1988 auch möglich, das ganze Jahr über Ski zu fahren. Mit der Einführung der Gazex-Lawinensysteme im Jahr 1994 konnte außerdem die Zahl der Hubschrauberflüge reduziert werden.

Der Bau des Wiesejaggl-Sessellifts sorgt für mehr Abwechslung im Skigebiet
Der Bau des Wiesejaggl-Sessellifts sorgt für mehr Abwechslung im Skigebiet

Bald wurde es jedoch immer schwieriger, die Skilifte und Pisten auch während der heißen Sommermonate offen zu halten, so dass die Skisaison langsam, aber sicher verkürzt werden musste. Es mussten Alternative Einkommensmöglichkeiten her. Gesucht und gefunden: Als Ende der 1980er Jahre der Snowboard-Hype aus Amerika hereinwehte, reagierten die Verantwortlichen am Kaunertaler Gletscher entschlossen und bauten eine der ersten Halfpipes in den Alpen. In der eigenen Werkstatt wurde der Prototyp eines "Shapers“ als Aufsatz für Pistenbullys entwickelt. Das tatkräftige Handeln trug bald Früchte, denn innerhalb weniger Jahre standen im Skigebiet mehrere jährlich stattfindende Snowboard-Events auf dem Programm. Mit dem zunehmenden Snowboard-Tourismus im Winter, war man schließlich auch nicht mehr so abhängig vom Sommerski-Angebot.

Die selbst entwickelte Halfpipe-Fräse in Aktion auf dem Kaunertaler Gletscher. (kaunertaler-gletscher.at)
Die selbst entwickelte Halfpipe-Fräse in Aktion auf dem Kaunertaler Gletscher. (kaunertaler-gletscher.at)

Über die Kaunertaler-Gletscherstraße kommen das ganze Jahr über viele Touristen (FB Kaunertaler Gletscher)
Über die Kaunertaler-Gletscherstraße kommen das ganze Jahr über viele Touristen (FB Kaunertaler Gletscher)

Ende des Sommerskigebiets

Zu Beginn dieses Jahrhunderts fand der Sommerskilauf am Kaunertaler Gletscher ein für alle Mal sein Ende. Nicht nur der allmählich fortschreitende Rückgang des Gletschers war dafür verantwortlich, sondern auch ein allgemeiner Rückgang der Popularität des Sommerskifahrens trug zum Ende des Sommerski-Angebots auf dem Kaunertaler Gletscher bei. Seitdem konzentriert sich das Skigebiet mehr und mehr auf die Erhaltung des Schnees (Snowfarming) und andere Sommeraktivitäten. So können die Gäste zum Beispiel eine Eishöhle besuchen und mit der 2008 neu errichteten Karlesjoch-Gondel an der Grenze zu Italien stehen. Mit Erfolg, denn derzeit empfängt man an einem durchschnittlichen Sommertag etwa 1000 Gäste.

Sommerurlaub 1989
Sommerurlaub 1989

Dieselbe Aussicht im Sommer 2015...
Dieselbe Aussicht im Sommer 2015...

Der Gletscher schwindet…

Mit dem Schwinden des Gletschers gab es nicht nur Probleme den Sommerskilauf aufrecht zu erhalten, der Gletscherrückgang hat auch einige Skilifte überflüssig gemacht. Der Weißsee-Gletscher ist von der Gletscherschmelze massiv betroffen; er ist einer der am stärksten zurückgegangenen Gletscher in den Ötztaler Alpen. Kurz vor der Jahrhundertwende wurde am Nörderjoch ein dritter Schlepplift gebaut. Der Gletscherabschnitt, auf dem dieser Schlepplift Nörderjoch III stand, war jedoch nicht stabil genug, so dass der Lift bald wieder abgebaut werden und als heutiger Falgin-Schlepplift wieder aufgestellt werden musste.

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Im Jahr 2004 musste die 2er-Sesselbahn Wiesejaggl abgebaut werden, weil sich der Gletscher im hinteren Bereich so weit zurückgezogen hatte, dass der Abstand zwischen Sesselbahn und Grund mehr als 30 Meter betrug, während das offizielle Maximum bei 18 Meter lag. Die legendäre schwarze Piste 10 und eine Skiroute auf der Nordseite des Skigebietes waren durch den Wegfall des Wiesejaggl-Sesselliftes nicht mehr erreichbar. Durch den Rückgang des Gletschers war darüber hinaus der oberste Teil anfällig für Steinschlag. Ein Tunnel von der neuen Karlesjochbahn aus war die bestmögliche Lösung, um diese geniale schwarze Piste zu reaktivieren. Die Bauarbeiten des Tunnels wurden 2014 abgeschlossen.
Der Schlepplift Nörderjoch II ist das jüngste Opfer. Nachdem eine der Liftstangen durch eine Lawine beschädigt worden war, entschied man sich, den Lift nicht wieder aufzubauen, denn auch er war aufgrund des Gletscherrückgangs nicht mehr zu halten.

Die früheren Nörderjoch II - und III - Schlepplifte (links) und der 2-Personen Sessellift Wiesejaggl (rechts)
Die früheren Nörderjoch II - und III - Schlepplifte (links) und der 2-Personen Sessellift Wiesejaggl (rechts)

Die herrliche Piste am Nörderjoch II gehört leider der Vergangenheit an (Foto von März 2014
Die herrliche Piste am Nörderjoch II gehört leider der Vergangenheit an (Foto von März 2014

Finanzielle Schwierigkeiten

Neben der Gletscherschmelze und dem Ende des Sommerskiangebots hatte das Unternehmen schon seit einiger Zeit mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Im Jahr 1999, kurz nachdem das Unternehmen kräftig in neue Lifte im Skigebiet Fendels investiert hatte, kamen verschiedene Probleme zusammen und das Skigebiet war mit 300 Millionen Schilling (21,8 Millionen Euro) verschuldet. Innerhalb von 14 Tagen musste ein Plan zur Rettung des Skigebiets ausgearbeitet werden, sonst hätte man Insolvenz anmelden müssen. Hans Rubatscher, der Besitzer des Pitztaler Gletschers, sorgte schließlich durch den Kauf von Aktien für den Fortbestand des “Sorgenkindes” Kaunertaler Gletscher. Rubatscher ist übrigens auch für den Kauf der Karlesjochbahn verantwortlich.

Das Skigebiet als Motor für das ganze Tal

Klein aber fein: Mit nur 1.700 Gästebetten liegt das Kaunertal touristisch weit hinter dem Stubaital (8.000), dem Ötztal (10.000) und dem Zillertal (30.000) (Daten aus 2006).

Die massiven Investitionen in das Gletscherskigebiet sind nicht so offensichtlich, wenn man durch das Tal fährt. Der große Tourismusboom, von dem in den 1980er Jahren die Rede war, hat einige Hotels und Unterkünfte hervorgebracht, aber ansonsten ist es ruhig geblieben. Vielleicht ist es genau das, was man sich insgeheim erhofft: Tourismus, aber kein Massentourismus.
Dennoch bringt das Skigebiet dem Tal viel Gutes. Viele kleine Unternehmen profitieren vom Skigebiet oder sind sogar von ihm abhängig. Das Skigebiet fungiert als Motor für das gesamte Kaunertal. Ein Vorteil des Kaunertals ist, dass es wenig Saisonarbeiter gibt und viele Menschen das ganze Jahr über im Skigebiet tätig sind. Das Tal arbeitet eng zusammen, um den Tourismus am Leben zu erhalten und gleichzeitig die ländliche und familiäre Atmosphäre zu bewahren. Dies ist unerlässlich, um einen weiteren Rückgang der Einwohnerzahl zu verhindern.

Es ist bewundernswert, dass aus den begrenzten Mitteln, die dem Skigebiets und der Gemeinde zur Verfügung stehen, so viel wie möglich herausgeholt wird. Eugen Larcher, Bürgermeister des Kaunertals von 1968 bis 2004 und Mitbegründer des Gletscherskigebietes, ist einer der Menschen, die tagtäglich für das Skigebiet kämpfen. Ein optimistischer Draufgänger, wie er kürzlich zeigte, als er verkündete, dass er immer noch von einem Lift auf die Weißseespitze träumt. Im nächsten Blog erfährst du unter anderem mehr über das diskutable Weißseespitze-Liftprojekt.

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SarahS
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